Mittwoch, 12. Februar 2020

Elfenbeinturm


Der "elfenbeinerne Turm" steht in schlechtem Ruf bei den Bewohnern intelektueller Kaschemmen. (Dávila)

Mein Unterfangen, die deutsche Romantik aus der Sicht Gómez Dávilas darzulegen, ist wahrlich ein spezielles! Wo es wenige sind, die sich für einen kolumbianischen Aphoristiker interessieren, werden es noch weniger sein, die dessen Meinung über eine Epoche des 19. Jahrhunderts lesen wollen. Ich schreibe über den Bruchteil eines Bruchteils. Dass eine solche Tätigkeit verpönt ist oder provozierend auf viele andere wirkt, hat mit Vorurteilen zu tun, die den Elfenbeinturm betreffen.
Ich für meinen Teil kann nur schwärmend von ihm berichten. Zwar maße ich mir nicht an, ein Bewohner desselben zu sein, doch ich habe ihn des öfteren betreten. (Das lässt mich sogar ein wenig stolz werden.) Wenn man auf die umliegenden Felder herabblickt, eröffnen sich vielsagende Einsichten.
Die Alternative zum Turm aus Elfenbein ist schlichtweg der Alltag. Wer in ihm gefangen noch Zeit und Energie findet, philosophisch zu werden, kann nur eine schlechte Meinung von Leuten haben, die sich fernab der alltäglichen Gedankenmühle um scheinbar sinnlose, geisterhafte Dinge sorgen.
Überhaupt ist es doch erstaunlich, wieso Weltabgewandtheit in der heutigen Zeit so abwegig, gar skandlös erscheint. Ist es nicht besser, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, als die Umtriebigkeit der heutigen Welt samt ihrem Zerstreuungspotenzial zu erhöhen?
Der Elfenbeinturm als Zuflucht und Ort der Sammlung und Konzentration - das ist es, worum es hier auch geht.

Freitag, 7. Februar 2020

Phantasie


Die Historiker der Zukunft werden es schwer haben, zwischen den Träumen und den Albträumen dieses Jahrhunderts zu unterscheiden. (Dávila)

Nicolás Gómez Dávila lebte im 20. Jahrhundert und fundamentale Veränderungen des Zeitgeistes sind für das 21. Jahrhundert nicht abzusehen. Vieles wird extremer, die Grundlagen bleiben gleich. Man kann ein digitales Zeitalter ausrufen und im gleichen Atemzug einen neuen Menschen, doch die tiefergehende, langfristige Analyse, die spontane Intuition legt nahe, dass die Erfindung des Smartphones beispielsweise Ausdruck eines nach wie vor gleichen Umgangs und Verständnisses von Technik und Wissenschaft ist.
Obiger Aphorismus besitzt demnach weiterhin Relevanz. Als ich ihn zum ersten Mal las, entsprang mir ein schönes Lachen: Ein Historiker der Zukunft beschäftigt sich mit Sehnsüchten und Phantasien unserer heutigen Zeit und verzweifelt, weil er sich nicht sicher sein kann, Artefakte und Fragmente richtig zu deuten. Er berät sich vielleicht mit Kollegen seines Fachs und sie diskutieren, was nun positiv oder negativ einzuschätzen ist. Eine köstliche Szenerie!
Dies impliziert einen zukünftigen Bruch mit der gegenwärtigen Lebenswelt. Es fliegt uns also auch ein Funken Hoffnung an - nämlich dass in Zukunft andere Zeiten herrschen werden; Zeiten, in denen die Menschen wieder zur Besinnung gekommen sind. Obiger Aphorismus hat so gesehen auch eine romantische Seite. Denn wie Dávila sagt:

Die Romantik drückt im Wesentlichen das Verlangen aus, nicht hier zu sein: hier an diesem Ort, hier in diesem Jahrhundert, hier in dieser Welt. (Dávila)

Freitag, 24. Januar 2020

Kontaktaufnahme


Das Hineinreichen der Romantik in unsere Zeit, ihre Ausläufer und feinen Verästelungen sind wertvoll und, wie aufgezeigt, schutzbedürftig für Dávila. Im Folgenden wird auch klar, wieso er den Romantikern einen solchen besonderen Stellenwert beimisst:

Alle werden wir ein bisschen bösartiger, wenn wir für eine gewisse Zeit den Kontakt zu den großen Dichtern der Romantik verlieren. (Dávila)

Sein Anliegen ist demnach, die Verbindung zur Geisteshaltung der Romantik nicht abreißen zu lassen. Obiger Aphorismus legt zudem nahe, dass die Lektüre der großen Romantiker eine Medizin sein kann, welche den seelischen Verfall bremst oder gar stoppt. Dies gilt Dávila nach für alle Menschen. Es handelt sich bei der Romantik also um eine Lebens- und Denkweise, die grundlegende, allgemeingültige Wesenszüge des Menschen anspricht und sichtbar macht, mehr noch, die negativen charakterlichen Eigenschaften hindert, sich auszubreiten und womöglich die Überhand zu gewinnen.
Ein paar nicht ganz ernst gemeinte Fragen, die hier anklingen, aber offen bleiben: Wie darf man jemanden einschätzen, der noch nie von Novalis gehört bzw. gelesen hat? Muss derjenige zwangsläufig ein bösartiger Mensch sein? Oder andersherum: Ist ein bösartiger Mensch vorstellbar, der gerne Eichendorff liest?   
Ebenso steckt ein weiterer Gesichtspunkt in obigem Aphorismus. Man kann ihn herauslesen, sobald man sich vor Augen führt, wie viele Menschen der heutigen Zeit und Gesellschaft den Kontakt zu den großen Dichtern der Romantik bereits verloren haben.

Mittwoch, 22. Januar 2020

Schutzschild


Wie zuletzt angesprochen, sieht sich die Romantik tiefgreifender Kritik ausgesetzt. Dávila begegnet dem wiefolgt:

Nur die Romantik kann kluge Kritik an der Romantik üben. (Dávila)

Das heißt zuallererst: Dávila nimmt die Bewegung der Romantik in Schutz. Er immunisiert sie gegen Kritik von außerhalb, weil diese nicht klug sein kann. Es geht aber nicht darum, eine Selbstreflexion der historischen Romantik (1795-1848) als einzig zulässige Kritik zu behaupten (was immerhin eine nahliegende Schlussfolgerung wäre). Dann hätte Dávila schreiben müssen: Nur die Romantik konnte kluge Kritik an der Romantik üben. Von einem definitiven Ende der Romantik ausgehen darf man demnach nicht. Der romantischen Geisteshaltung wird vielmehr eine Präsenz in der Gegenwart zugesprochen. Es geht um ein Fortbestehen (oder Wiederaufleben) derselben in der heutigen Zeit, wenngleich nicht als Sammelbewegung einer etwaigen Neo-Romantik, sondern wohl eher im Einzelnen.

Mittwoch, 8. Januar 2020

Nationalhymnen


Die Romantik ist in Verruf geraten, weil sie einen extremen Nationalismus befördert haben soll. Ein Fürsprecher der deutschen Romantik gerät also schnell in Verdacht, Nationalist zu sein. Dávila, 1913 geboren und daher über diesen Zusammenhang sicherlich bestens im Bilde, kann man derartiges nicht ohne weiteres vorwerfen:

"Wenn wir die letzten Akkorde einer Nationalhymne hören, wissen wir mit Sicherheit, dass gerade jemand Unsinn geredet hat." (Dávila)

Nicht verschwiegen werden soll, dass sich in seinem Werk auch Aphorismen finden, die bei flüchtiger Beschäftigung eine andere Deutung zulassen. Letztlich ist es Angelegenheit des interessierten Lesers, sich einen persönlichen Standpunkt in diesem Zusammenhang zu erarbeiten.

Für meine Zwecke genügt es, auf die thematische Problematik der deutschen Romantik und ihrer Geschichte hinzuweisen, um aufzuzeigen, dass sie den Vorwürfen zum Trotz positiv hervorgehoben wird - und nicht etwa aus geschichtlicher Ignoranz.

Elfenbeinturm

Der "elfenbeinerne Turm" steht in schlechtem Ruf bei den Bewohnern intelektueller Kaschemmen. (Dávila) Mein Unterfangen, d...